Sprungmarken

Objekt des Monats April 2023 - Eine Flüchtlingsliste aus dem Jahr 1792

Flüchtlingsliste vom 19. September 1792, Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier, Hs. 1550/183 2’, folio 114 recto (Foto: Anja Runkel)
Flüchtlingsliste vom 19. September 1792, Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier, Hs. 1550/183 2’, folio 114 recto (Foto: Anja Runkel)

Als Objekt des Monats stellen die Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier und das Stadtarchiv eine Flüchtlingsliste aus dem Jahr 1792 vor. Damals befand sich Trier in einer ähnlichen Situation. Kurz nach dem Ausbruch der Französischen Revolution im Jahr 1789 war die Stadt von einer der größten Gewaltmigrationen betroffen, die man bis dahin kannte. Schätzungsweise 160 000 Menschen flüchteten aus Frankreich, wo die staatliche und gesellschaftliche Ordnung zusammengebrochen war. Unter teils schwierigen Bedingungen überquerten sie die Grenze. Die Flüchtlinge stammten aus allen sozialen Gruppen, unter ihnen befanden sich Tagelöhner, Handwerker, Bauern, Geistliche und Adlige – Männer, Frauen und Kinder. Manche waren aus politischer Opposition emigriert, andere suchten Schutz vor Gewalt, Verfolgung und Unterdrückung.

Viele der „émigrés“ kamen in den grenznahen Städten unter; so auch in Trier, das sich bald zu einem Flüchtlingszentrum entwickelte. Die circa 8000 Einwohner der kurtrierischen Landstadt hatten zu dieser Zeit schon seit Längerem mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Über Kapazitäten zur zentralen Unterbringung der „émigrés“ verfügte man damals nicht, sodass die Geflüchteten quer über das Stadtgebiet verteilt unterkommen mussten. Auf Vorsorge bedacht, beschloss der Stadtrat im September 1792, die Namen und die Anzahl der Flüchtlinge zu ermitteln. Beamte gingen also von Tür zu Tür, befragten die Einwohner und traten an die „émigrés“ heran. Die Ergebnisse der Visitation wurden in einer Liste dokumentiert.

Deren ungleichmäßiges Schriftbild lässt uns heute noch erahnen, wie die Geflüchteten auf Geheiß der Beamten eine Schreibfeder in die Hand nahmen und sich in die Liste eintrugen. Hinter ihre Namen notierten die „émigrés“ die Nummern der Häuser, in denen sie wohnten. Wir lesen die Namen von Priestern wie Nicolas Lopin (Nummer 258), Studenten wie Jean Baptiste Lemoine (Nummer 85), Familien wie de Lambertye (Nummer 424) oder Militärpersonen wie de Hamzelin (Nummer 278). Die Schreibunkundigen unter den Flüchtlingen diktierten ihre Namen. Insgesamt umfasst die Liste über 200 Personen. Sie ist nur eine von vielen, die aus der Revolutionszeit überliefert sind.

Ohne Reserven und ohne Perspektiven erwies sich das Alltagsleben im Exil mehr als drei Jahre nach dem Revolutionsausbruch zunehmend schwierig. In Frankreich waren sie als vermeintliche Revolutionsfeinde geächtet und kriminalisiert worden. An eine Rückkehr war nicht zu denken, für eine Niederlassung im grenznahen Ausland waren die Aussichten ebenfalls viel zu unsicher. Als Trier im Sommer 1794 zum Schauplatz des Ersten Koalitionskrieges (1792-1797) wurde, flüchteten die „émigrés“ weiter in östliche Richtung, völlig im Unklaren darüber, ob und wann sie ihre Heimat jemals wiedersehen würden.

Tatsächlich sollte es noch bis zur Herrschaft Napoleons (seit 1799) dauern, bis allmählich Voraussetzungen für eine Remigration der Geflüchteten geschaffen wurden. Bis dahin hatten die „émigrés“ ihr Überleben im Exil gesichert, unter anderem mithilfe der Unterstützung von Zufluchtsstädten wie Trier.