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Objekt des Monats Mai 2023 - Erich Kästner: Über das Verbrennen von Büchern

Bilder zweier besonderer Zeitzeugen: der Bericht von Erich Kästner über das Verbrennen von Büchern (Foto: Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier, Anja Runkel) und eine Urne mit verbrannten Überresten alter Drucke und Manuskripte aus der Nationalbibliothek in Warschau (Foto: Nationalbibliothek Warschau, www.polona.pl).
Bilder zweier besonderer Zeitzeugen: der Bericht von Erich Kästner über das Verbrennen von Büchern (Foto: Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier, Anja Runkel) und eine Urne mit verbrannten Überresten alter Drucke und Manuskripte aus der Nationalbibliothek in Warschau (Foto: Nationalbibliothek Warschau, www.polona.pl).

Wenn wir heutzutage das Wort „Bücherverbrennung“ hören, assoziieren wir es mit den Ereignissen, die sich am 10. Mai 2023 zum 90. Mal jähren, nämlich mit der Zerstörung von Büchern durch die Nationalsozialisten.

Aus diesem schmerzlichen Anlass präsentiert die Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier das Buch von Erich Kästner „Über das Verbrennen von Büchern“ als Objekt des Monats. Am 10. Mai 1933 wurden in Deutschland die Werke von zahlreichen deutschen Autoren ins Feuer geworfen. Der Schriftsteller war Augenzeuge der Verbrennung seiner eigenen Bücher auf dem Berliner Opernplatz gegenüber der Humboldt-Universität. „Über das Verbrennen von Büchern“ versammelt erstmals vier Texte von Kästner in denen er über das Kulturverbrechen berichtet und dessen Implikationen analysiert. Oft mündet die Diskussion über Kästners Bericht in einer Debatte über die sogenannte „innere Emigration“ des Schriftstellers. Im Zusammenhang mit der Bücherverbrennung in Europa scheinen aber andere Fragen zentral. Was geschah in Deutschland nach 1933? Wie verlief die nationalsozialistische Kulturpolitik nach 1939? Was bedeutete sie für das Kulturerbe Europas?

Die Bibliothekspolitik des Dritten Reiches ist selten Thema in den Medien. Viel öfter kann man beispielsweise über NS-Raubkunst lesen. Einer der Gründe ist die Tatsache, dass das NS-Regime selbst bildender Kunst viel mehr Aufmerksamkeit schenkte. Vor allem sollten die Gewinne der im Ausland beschlagnahmten Gemälde und Skulpturen die Kriegskasse füllen. Die Kunst war auch für Propagandazwecke relevant. So verfolgte Hitler den Traum, in Linz an der Donau ein Super-Museum mit Tausenden von Meisterwerken zu bauen, das den Louvre und gleichzeitig den Kriegsführer Napoleon übertreffen sollte. Die Rettungsaktion der für Linz bestimmten Kunstwerke, die in der Endphase des Krieges in einem Depot im Salzbergwerk Altaussee gelagert wurden, verfilmte Hollywood vor wenigen Jahren mit Matt Damon, George Clooney und Bill Murray. Dass sogar eine wichtige Szene des Filmes in Trier spielt, ist bislang kaum bekannt gewesen (mehr über diese Geschichte in einer Folge unseres Podcast: Monuments Men in Trier).

Die NS-Bibliothekspolitik gilt es als eigenes Forschungsthema noch zu entdecken. Man muss zugeben: eine Mega-Bibliothek war nicht in Planung. Dies wäre auch schwer zu realisieren gewesen, denn „fremdes Schriftgut“ war nicht erwünscht. Die Bibliothekspolitik wird in spektakulären Verfilmungen leider nicht dargestellt. Eine bei der Hohen Schule der NSDAP angesiedelten Sammelstelle für Raubbücher kann man kaum als Bibliothek bezeichnen.

Die bewegenden Fotos von Bücherverbrennungen im Jahr 1933 sind im kollektiven europäischen Gedächtnis präsent, aber was danach geschah, ist oft nur in Fachkreisen bekannt.

Der nächste Schritt des Regimes ist gut in den Unterlagen des Stadtarchivs in Trier belegt: die sogenannte „Säuberungsaktion“. Bücher aus der Liste des „schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ sollten den Benutzer*innen der Bibliotheken schlicht nicht mehr zu Verfügung gestellt werden. Die Auswahl der Publikationen ist sehr groß: es waren Schriften von Karl Marx, Max Weber oder Thomas Mann, Bildbände von Marc Chagall oder Erich Kirchner und Literatur „Autoren fremder Völker“ von Trotzki und Tolstoi bis Virginia Woolf und Winston Churchill. Wie gründlich die Nationalsozialisten ihre Recherche durchführten, zeigt das Verbot des Decamerone von Bocciaccio mit dem Vorwort von Hanns Heinz Ewers, dem 1934 ein generelles Publikationsverbot erteilt wurde.

Nach 1939 begann ein neues Kapitel der Büchervernichtung in Europa. Am 30. Mai 1939 erklärte Gustav Abb, der spätere Kommissar für die Sicherung der Bibliotheken und Betreuung des Buchgutes im östlichen Operationsgebiet, „es habe in der ganzen Weltgeschichte keinen Umbruch, keine geistige Revolution gegeben, die die Macht des Buches und der Bibliotheken klarer erkannt und ausgiebiger in ihren Dienst gestellt hätte als der Nationalsozialismus“.

Im besetzten Frankreich, Belgien, Holland und benachbarten Luxemburg wurden die Kulturinstitutionen zwar deutschen Behörden unterstellt, dennoch nicht systematisch vernichtet. Die Verbrennung der Universitätsbibliothek Leuven mit 300.000 Büchern während des Ersten Weltkrieges, international als Akt der Barbarei verurteilt, spielte eine große Rolle in der Kriegspropaganda der Entente gegen die Mittelmächte. Das NS-Regime sah die Bevölkerungen der besetzten westlichen Länder und deren Kultur nicht generell als minderwertig an. Anders sah die Situation im Osten aus.

Man kann dies gut am Beispiel von Warschau darstellen. Während des Krieges wurden Bibliotheken in Polen gezielt von den „Brandkommandos“ vernichtet. Im Oktober 1944 wurden die Bestände der Nationalbibliothek, die vor allem Immigranten mühsam bis zur Unabhängigkeit Polens im Jahr 1918 zusammengestellt hatten, in Brand gesetzt. Etwa 78% der Bücher, darunter mehrere Tausende Handschriften und Inkunabeln fielen den Flammen zum Opfer. Das Schadensbild in Warschau ist repräsentativ für die Gesamtlage in Polen: zwischen 1939 und 1945 wurden zirka 70% der Bibliotheksbestände und des Archivgutes in öffentlichen Institutionen vernichtet.

Heute erinnert eine gläserne Urne mit den Überresten alter Drucke und Manuskripte an die Verbrennung der Bücher in Warschau. Sie ist, genau wie das Buch von Erich Kästner, ein Mahnmal gegen das Vergessen. Wenn man die beiden zusammen betrachtet, haben sie eine große Wirkung: sie umschließen gleichsam die Dekade der Büchervernichtung in Europa und teilen unisono die Botschaft mit: nie wieder.